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Eine Verteidigung der Bürgerlichkeit

Gastkommentar von Thomas Gottweiss in der ImpulsRegion 03/04/2024.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff der Bürgerlichkeit fest verankert. Wir sprechen von bürgerschaftlichem Engagement, einer bürgerlichen Wohngegend, bürgerlichem Anstand und – ja – auch von bürgerlicher Politik. Aber welche Tiefe besitzt der Begriff der Bürgerlichkeit heute noch für uns? Kann er in modernen Zeiten eine Rolle spielen? Für unser Leben und unsere Gesellschaft? Ich finde ja. Es lohnt sich aufzubrechen, zur Verteidigung der Bürgerlichkeit.

Zweifelsohne sind alte Gewissheiten in diesen Tagen unter Druck. Der Krieg ist zurück in Europa. Eine Welle des Antisemitismus überschwemmt die Welt. Globale Konflikte lösen Migrationsbewegungen aus und brechen Lieferketten. Die Welt hat sich auf den Ausstieg aus fossilen Energieträgern geeinigt, ohne dass über den konkreten Weg der Transformation die letzte Klarheit bestehen würde. Wirtschaftsmodelle, Lebensentwürfe und persönlicher Wohlstand begegnen dieser Unsicherheit. Wir erleben weltweit ein Erstarken der Rechtspopulisten, die in Sprache und Tat Grenzen überschreiten.

Gleichzeitig zerspringt die öffentliche Meinung in tausende Fragmente. Immer weniger Menschen lesen Zeitungen, schauen Nachrichten oder verfolgen die Leitmedien. Stattdessen bilden sich persönliche Wahrnehmungsblasen, die durch Algorithmen von Facebook, Instagram und Telegram getriggert werden. Aufregung, Empörung und Wut haben Konjunktur. Fakten, Wahrhaftigkeit und Rationalität verschwimmen im Hintergrund.

Diese Situation der schwindenden Gewissheiten wird durch die erstarkten Rechtspopulisten genutzt, um über Sprache die öffentliche Meinung zu manipulieren. Auch der Begriff der Bürgerlichkeit ist vor dem Zugriff der Rechtspopulisten nicht sicher. So wirbt die AFD-Fraktion im Thüringer Landtag mit dem Slogan „Die bürgerliche Kraft“. Ein Hohn, wenn man bedenkt, welche Agenda sich dahinter verbirgt. Schließlich geht es der Höcke-Truppe gerade um einen Bruch mit den Werten der Bürgerlichkeit und den Werten der breiten Mitte der Gesellschaft. Das Ziel besteht darin, Anstand und Konventionen beiseite zu schieben und einen Politikstil zu entwickeln, der durch Skrupellosigkeit und Härte geprägt ist. Höcke spricht in seinem Buch von „wohltemperierter Grausamkeit“ und einer Politik, die dem „eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen“ wird.

Diese Abkehr von einem als bürgerlich empfundenen Stil liegt leider im internationalen Trend. Denken wir an Donald Trump. Dessen Auftreten und Sprache wäre für die Republikaner früher zweifelsohne ein Grund zur Ächtung gewesen. Trump jedoch hat die Grenzen des Sagbaren verschoben. Er macht sich nicht nur über Behinderte lustig und verachtet Frauen, sondern macht auch demokratische Institutionen und Prozesse verächtlich und beförderte die Eskalation des Sturms aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Trotz Gerichtsprozessen und bereits erfolgten Verurteilungen hat er beste Aussichten auf die Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2024 für die Republikaner.

Rechtspopulisten auf der ganzen Welt greifen diese Strategie auf. Sie sind damit durchaus anschlussfähig an faschistische und sozialistische Regime der Vergangenheit. Der Bruch mit den bürgerlichen Werten hat dabei System. Anstand, Aufrichtigkeit und Verantwortungsbereitschaft stehen einem totalitären Weltbild entgegen. Eine freie, bürgerliche Gesellschaft ist nicht in dem Maß kontrollierbar, wie es sich Nationalisten und Sozialisten von einem konformistischen Volkskörper erwarten. Die Gefahr sollte daher klar sein.

Aber kann es uns gelingen, dieser Gefahr heutzutage zu begegnen? Ich meine ja. Es gibt nach wie vor eine breite bürgerliche Mitte, für die gesellschaftliche Verantwortung und Werte eine hohe Bedeutung besitzen. Im Umgang mit ihren Mitmenschen, beim Engagement für ihr Unternehmen, ihren Verein, ihre Nachbarschaft und Gemeinde. Das ist der Resonanzraum, in dem Bürgerlichkeit sich entfalten kann. Es lohnt sich, diesen Raum zu schützen und sich gegenseitig zu unterstützen. Dazu müssen aber auch die tatsächlichen Probleme, die zu Unsicherheit, Zukunftsängsten und vor allem Vertrauensverlust führen, klar angesprochen und gelöst werden. Denn Vertrauen in das Funktionieren des Staates und der Gesellschaft ist eine wichtige Grundlage für Offenheit, Freiheit und Verantwortungsbewusstsein. Lassen Sie uns diejenigen stärken, die bereit sind für eine Verteidigung der Bürgerlichkeit.

Thomas Gottweiss ist direkt gewählter Landtagsabgeordneter für die CDU im Wahlkreis 31, der Apolda und Umgebung umfasst.